Der ortsunabhängige Lebensstil digitaler Nomaden ist so populär wie nie zuvor. Er ist in den sozialen Netzwerken, in den Medien und vielen Köpfen junger Menschen. Digitale Nomaden sind Menschen, die im Internet ihr Geld verdienen und dadurch ortsunabhängig arbeiten können. Diese Freiheit nutzen sie, um permanent durch die Welt zu reisen. Ein Lebensstil, der verlockend klingt.
Ich verfolge die Geschichten einiger der Menschen, die diesen Lebensstil erfolgreich bestreiten und habe mich immer mehr mit der Frage beschäftigt, ob ein solcher Lebensstil auch für mich (als einzelne Person, als Ehemann und Vater) interessant erscheint.
Die Antwort heute lautet: Nein.
Warum? Das möchte ich hier versuchen in Worte zu gießen.
Um die Frage für mich zu beantworten, musste ich vor allem darüber nachdenken, welche Parameter dieses Lebensstils für mich erstrebenswert erschienen. Dabei handelte es sich um die freie Gestaltung der Arbeitszeit, die Ortsunabhängigkeit bei der Arbeit und die daraus resultierende Freiheit zu reisen. Dazu kam die Vorstellung ausschließlich an Dingen zu arbeiten, die durch die eigene Leidenschaft getrieben sind. Dinge, die sich nie wie Arbeit anfühlen würden.
Es geht also um die Entkopplung von Arbeit und Zeit sowie von Arbeit und Ort.
Die zweite Frage, die mich beschäftigte und in deren Beantwortung ich Zeit investierte, war, wie die mir bekannten digitalen Nomaden ihre Brötchen verdienen. Die Antwort ist in den meisten Fällen „digitale Informationsprodukte“. Das Geschäftsmodell baut auf einem Publikum auf, das zum Beispiel durch einen Blog für ein Thema aufgebaut wird. Dieses Publikum ist eine sehr gut geschnittene Zielgruppe, der ich zu einem späteren Zeitpunkt ein Informationsprodukt (beispielsweise ein eBook oder einen Online-Kurs) anbieten kann. Durch die vorherige Ausrichtung und den Aufbau einer engen Zielgruppe, am besten zu einem Nischenthema, existieren direkt potentielle Käufer und die Conversion-Rate ist entsprechend hoch. Zu diesem Geschäftsmodell gehört es stetig qualitativ hochwertigen Inhalt zu produzieren. Ein gutes Beispiel ist der Kurs zum Aufbau eines erfolgreichen Blog-Business von Conny (planetbackpack.de) und Sebastian (off-the-path.com, travelworklive.de).
So weit so gut.
Ein von mir sehr geschätzter (ehemaliger) digitale Nomade hat selbst über seine Zweifel berichtet, bevor er später das Nomaden-Dasein gänzlich beendete. Er sprach unter anderem davon, dass sich seine Gedanken vor und während der Reisen immer darum drehten, welche Artikel, Beiträge und Informationsprodukte aus den Erlebnissen und Reisezielen herausspringen. Reisen als digitaler Nomade ist eben etwas Anderes, als einen bezahlten dreiwöchigen Urlaub wahrzunehmen.
Stattdessen spukt mir ständig der Gedanke im Kopf herum: Worüber kann ich schreiben? Bekomme ich genug Inhalte für zwei Artikel pro Woche? Was lässt sich eventuell zu einem eBook verarbeiten? Schon der Gedanke daran strengt mich zurzeit an.
Patrick von 101PLACES.DE
Die romantische Fassade des digitalen Nomadentums und des immer-sonnigen Lebensstils bekam Risse.
Warum die Entkopplung von Arbeit und Zeit für mich kein Argument mehr ist
Einige der digitalen Nomaden veröffentlichen ihre Finanzreports und damit inbegriffen auch ihre Arbeitszeiten. Dabei finden sich nur selten Wochenarbeitszeiten, die weniger als die durchschnittliche 40-Stunden-Woche ausmachen. Viel mehr ist die Rede von 60 – 70 Stunden pro Woche und keinem abgesteckten Feierabend. Das Internet schläft nicht, Social Media kennt kein Wochenende. Ich arbeite auch mehr als eine 40-Stunden-Woche, genieße dabei jedoch die Freiheit zum Teil aus dem Home Office und in einem Vertrauensarbeitszeitmodell zu arbeiten, dass mich nicht an feste Zeiten bindet.
Warum die Entkopplung von Arbeit und Ort für mich kein Argument mehr ist
Die Entkopplung von Arbeit und Ort zieht die Entwurzelung von mir aus meinem Zuhause nach sich. Das Zuhause, dass sich jedes Mal, wenn ich nach einer langen Reise nach Hause komme so gut anfühlt. Das Zuhause, auf das ich mich hin- und wieder sogar während wir unterwegs sind freue. Das Zuhause, dass für Sicherheit, Bodenständigkeit und Heimat steht. Das Zuhause für mich, meine Familie und ganz besonders für meinen Sohn. Und zu guter Letzt das Zuhause bei dem unsere Freunde und Familie in der Nähe sind.
Für uns geht es im Leben nicht ausschließlich darum zu reisen. Es geht darum möglichst viele (bestenfalls positive) Erfahrungen zu machen und fantastische Erinnerungen aus unserem Leben zu sammeln. Es geht um die Möglichkeit Dinge zu tun, die wir lieben. Es geht uns darum Zeit mit denen zu verbringen, die wir gern in unserer Nähe haben. Und genau hier entsteht das größte Zerwürfnis zwischen meiner Vorstellung und der Idee des digitalen Nomadentums.
Warum?
Das permanente Reisen, in der reinsten Form des digitalen Nomadendaseins, ohne einen festen Wohnsitz, hat in der Regel Opfer. Die Opfer dieses Lebensstils sind deine Freunde und deine Familie beziehungsweise sogar die eigene Familienplanung. Auch digitale Nomaden, die seit mehr als vier Jahren ohne feste Wurzeln unterwegs sind, berichten über diese Entfernung und Entfremdung. Es ist schwer tiefe Verbindungen auf der stetigen Reise aufrecht zu erhalten oder gar aufzubauen und noch schwerer ein Leben als digitaler Nomade mit Kindern oder als angehende Eltern zu leben (wenn auch nicht unmöglich).
Reisen ist eigensinnig. Dieser Gedanke kam mir während wir mitten in den schottischen Highlands saßen und unser Sohn Fieber hatte. Reisen ist ein Unternehmen, dass in der Regel die Welt nicht besser macht. Wir tun es für uns. Für die Erholung, um neue Kulturen zu entdecken und gelegentlich, um zu uns selbst zu finden. Wir reisen nicht für andere Menschen, wir reisen für uns. Bestenfalls erfahren wir Dinge auf Reisen, die uns selbst als Mensch besser machen. Eigensinn ist eine normale Sache, die uns innewohnt. Das ist menschlich und keinesfalls ausschließlich negativ zu bewerten.
Warum kam mir der Gedanke, als wir mit einem kranken Kind irgendwo in der Abgeschiedenheit unterwegs sind?
Weil es genau das ist worauf es ankommt: Für die, die mir wichtig und nah sind zu sorgen und vor allem als Vater da zu sein. Hier hilft eine eigensinnige Lebensausrichtung so viel wie Öl auf einem Feuer. In einigen Situationen und Phasen des Lebens ist es vielleicht besser und wichtig den persönlichen, menschlichen Eigensinn hinten anzustellen.
Natürlich bin ich auch auf Reisen ebenfalls für meine Familie da. Wir nahmen unseren Sohn und gingen zu dem nächsten Medical Center. Das alles ist kein wirkliches Problem, jedoch gibt es Freunde und die weitere Familie, für die ich ebenfalls da sein möchte. Und es gibt eine Reihe an Dingen, die ich meinem Sohn bieten will, die sich nicht mit der Eigensinnigkeit des permanenten Reisens verbinden lassen. Ich möchte, dass mein Sohn mit einem festen Zuhause aufwächst und schon in den ersten Jahres seines Lebens ein konstantes Umfeld genießen kann. Dies besteht im wesentlichen aus seinen Eltern, aber auch aus Großeltern, unseren Freunden und seinen eigenen Freunden und Spielkameraden.
Auch digitale Nomaden haben Tiefpunkte und Zweifel. Das Versprechen eines ultimativen Lebensstils oder einem Leben ohne Tiefpunkte, Zweifel und Probleme kann niemand halten. Und so gibt es auch keine Garantie, dass Du zum digitalen Nomadendasein passt und andersherum. Du musst für Dich herausfinden und entscheiden wie Dein Leben aussehen soll. Wie Du das tun kannst was Du liebst und was Du in Deinem Leben erreichen möchtest. Es kann durchaus sein, dass es Phasen in Deinem Leben gibt, in denen sich Deine Vorstellungen und Ziele mit diesem Lebensstil vereinbaren lassen und genau so wird es Zeiten geben, in denen es unvorstellbar erscheint.
Ich liebe was ich tue. Auch ohne ein Leben als digitaler Nomade. Ich reise gern und viel. Und ich komme gern nach Hause. In ein Zuhause, dass zu meinem Leben gehört und die Persönlichkeit meiner Familie trägt. In ein Zuhause, bei dem ich meine Freunde und meine Familie in der Nähe weiß. Ich habe einen Job der mir Spaß macht, mir professionelle und persönliche Freiheiten lässt und die Möglichkeit leidenschaftliche Themen in meiner Freizeit voran zu bringen. Dazu gehört auch dieser Blog. Ich will schreiben und dabei Informationen transportieren, die helfen ohne dabei einen stetigen Druck zu verspüren mit der Webseite Gewinne zu erzielen. Ich will mir bestenfalls eine Plattform schaffen, um einem Lebenstraum – ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen – etwas näher zu rücken. Aus Leidenschaft.
Was ist also der Punkt?
Ich denke, dass es keinen ultimativen Lebensstil gibt, der für alle Menschen gleichermaßen passt. Der richtige Lebensstil für mich, für Dich oder andere Personen wird sich (glücklicherweise) unterscheiden. Der perfekte Lebensstil aus meiner Sicht verbindet Leidenschaft, Ziele und Werte sowie das fortwährende Neuerfinden von mir selbst.
Wie siehst Du das? Wäre das Leben als digitaler Nomade eine Möglichkeit für Dich? Vielleicht für eine Lebensphase?